18.12.19

Unheilige Familie

Denkanstoß von Pfarrer Christoph Schweizer, Evang. Kirchengemeinde St. Bernhardt zum Hohenkreuz Esslingen

Wir saßen im Besprechungsraum seiner Werbeagentur, an der Wand schicke Großdruckfotos und eine Tafel mit handschriftlichen Notizen, das kreative Interieur eines Medienschaffenden. Wir sprachen über Gott und die Welt. Er war Mitte Vierzig, hatte eine leitende Position und erzählte, dass er nebenbei ernsthaft versuche, ein guter Papa zu sein.

„Vieles, was die Kirche macht, ist ganz okay“, sagte er. „Aber wissen Sie, was ich überhaupt nicht leiden kann: Wenn Kirchenvertreter, ältere Männer ohne Kinder, öffentlich hinstehen und uns Familienmenschen erklären, wie Familie geht und wie Familie zu sein hat.“ Er sagte: „Wir brauchen niemand, der uns erklärt, wie es geht, Familie zu sein. Das kriegen wir schon selbst hin, und hin und wieder geht’s auch schief. Wenn wir was brauchen, dann sind das gute Angebote, die uns und unsere Kinder begleiten und unterstützen.“

Ich konnte ihn gut verstehen, und ich habe mich auch ein bisschen ertappt gefühlt. Ich bin zwar kein alter Mann ohne Kinder, sondern heute ein 51-jähriger mit zwei kleinen Jungs (und ob 51 alt ist oder nicht, ist wohl eine Frage der Perspektive…). Wobei ich mich aber ertappt gefühlt habe: Bei der Sache mit dem Erklären. Leute wie wir, die manchmal vor einem Mikrofon stehen und zu vielen Menschen reden, sind in der Gefahr, die Welt erklären zu wollen. Dabei wäre es oft ehrlicher, wenn wir sagten, dass wir auch keine Erklärung haben, aber viele Fragen. Und wenn wir mit unserem öffentlichen Wort dazu beitragen würden, dass wichtige Fragen des Zusammenlebens nicht unter den Teppich gekehrt werden.

Ach, übrigens habe ich den Werbemann ein paar Monate später zufällig wiedergetroffen, in unserer damaligen Kirche irgendwo in Stuttgart. An normalen Sonntagen war er da eher selten anzutreffen. Aber es war kein normaler Sonntag. Es war Heiligabend, 16 Uhr, und sein 6-jähriger Sohn machte beim Krippenspiel mit. „In solchen Momenten werde ich dann doch ganz sentimental“, hat er mir gestanden. „Wenn ich sehe, wie begeistert mein Kind mitmacht und wie es strahlt, weil es Teil der Weihnachtsgeschichte ist… An solchen Momenten ist die Kirche für uns genau richtig.“

Da, beim Krippenspiel und bei der Freude des Kindes, da waren die Fragen einmal nicht im Vordergrund. Natürlich kamen sie wieder. Denn gerade das Weihnachtsfest ist für viele Familien nicht nur ein schönes, sondern auch ein anstrengendes Fest. Die Erwartungen sind groß. Erwartungen an das perfekte Essen, an den Baum, die Geschenke, an ein gutes Fernsehprogramm, an erfreuliche Gottesdienste und vor allem: große Erwartungen ans Wohlverhalten aller Familienmitglieder. Von der schrulligen Großtante bis zum Ehepartner, der bitte kräftig unterstützend, aber auch gut gelaunt sein soll. Und dann ist da noch der Ex-Mann, der sich bitte wenigstens heute mal unkompliziert an die Absprachen hält und rechtzeitig da ist, ohne schlechte Stimmung zu machen. Und natürlich die Kinder. Der mufflige pubertäre Sohn, oder die kleinen, die sich heute doch mal bitte nicht zanken sollen.

Die Erwartungen sind groß, und Weihnachten bedeutet für viele Familien beides zugleich: Große Freude und großen Stress. Was nun? Weihnachten ausfallen lassen? Wohl nicht im Ernst. Eine Mitarbeiterin der kirchlichen Beratungsstelle hat mal diesen Tipp gegeben: Liebe Eltern, liebe Kinder, erkundet doch am besten gemeinsam, was in diesem Jahr für euch wirklich dran ist an Weihnachten. Weihnachten muss kein immer gleiches Ritual sein. Überlegt doch mal, wie ein guter Festkompromiss für euch aussehen könnte, bei dem jeder was mitbestimmen und mitgestalten darf. Es gibt nicht das eine, einzig richtige Weihnachtsfest. Sondern es darf auch mal variieren.

Eine weitere Entlastung für uns unheilige Familien steckt übrigens in der Weihnachtsgeschichte selbst drin. Denn darin kommt gar keine „heilige Familie“ vor. Sondern eine Familie, die unter schäbigen Umständen ihr erstes Kind bekommt. Eine junge Mutter, die nicht weiß, wie ihr geschieht. Und ein Vater, der kurz zuvor noch überlegt hat, alles hinzuschmeißen und seine schwangere Verlobte zu verlassen. Und irgendwie haben sie dann doch zusammen ihr erstes Weihnachten gut überstanden, mit kräftiger Hilfe Gottes und seiner Engelschöre. Und viele kamen und freuten sich mit. Und dieses erste Weihnachtsfest war sicher nicht perfekt, und das Festmenü war sehr schlicht. Und doch war es sehr, sehr schön. So schön, dass noch 2.000 Jahre später davon erzählt wird.

Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten!