25.05.19

Hört auf die Jungen

Denkanstoß von Pfarrer Christoph Schweizer, Evang. Kirchengemeinde St. Bernhardt zum Hohenkreuz Esslingen

Es war ein bizarres Schauspiel, das uns Fernsehzuschauern in den letzten Tagen geboten wurde. Ein beschwipster Noch-nicht-Ex-Politiker des Nachbarlandes Österreich schmiedete mit einer falschen russischen Milliardärin dreckige Pläne für den Fall ihrer erfolgreichen Unterstützung für seine Wahl. Dieses Treffen auf Ibiza war ein Tiefpunkt der politischen Kultur in unserem Nachbarland.

Nun, die Sache ist rausgekommen. Die Regierungsbeteiligung der rechtsextremen FPÖ ist Geschichte. Daneben – und neben anderen weltbewegenden Dingen wie der ungefähr 112. Deutschen Meisterschaft des FC Bayern und dem Eurovision Song Contest – ist eine andere, weit bessere Geschichte fast untergegangen.

Sie spielt weiter östlich, in der Ukraine. Dieses Land hat einen neuen Präsidenten. Er heißt Wolodymyr Selenskyj. Er ist politisch ein Unbekannter. Die Experten tun sich schwer mit der Einschätzung, was die Wahl des Ex-TV-Comedian bringt. Wird er seinem Land, das seit Jahren tief in der Krise steckt, helfen können? Man weiß es nicht.

Ein Detail bei seiner Amtseinführung fand ich bemerkenswert. Selenskyj hat angekündigt, dass in ukrainischen Amtsstuben keine Porträts von ihm aufgehängt werden sollen. „Der Präsident ist kein Porträt“, sagte er. „Hängt lieber die Fotos von euren Kindern auf und schaut ihnen vor jeder Entscheidung in die Augen“, rät der den ukrainischen Beamten.

Ich finde das stark. Nicht der auf Zeit gewählte Präsident soll den Staatsdienerinnen und Staatsdienern als Richtschnur dienen, sondern der Blick in die Augen ihrer Kinder.

Am kommenden Sonntag ist bei uns Super-Wahltag. Gemeinderat, Kreistag, Regionalrat und das EU-Parlament werden gewählt. Ich habe großen Respekt vor den vielen tausend Männern und Frauen, die für ein Mandat kandidieren und die im Fall ihrer Wahl viel Zeit und Kraft investieren werden. Sie müssen sich sachkundig machen zu unterschiedlichsten Themen, mit denen sie es zu tun kriegen. Sie müssen sortieren, welches Thema wirklich wichtig ist und welches weniger. Sie müssen lernen, zu unterscheiden zwischen seriösen Ratgebern und interessengeleiteten Lobbyisten.

Eine Lobby sollten sie dabei nicht aus dem Blick verlieren: Die junge Generation. Ich habe meine Schülerinnen und Schüler gefragt, was sie von den neuen Gemeinderäten und Europaparlamentariern erwarten. Den Neuntklässlern ist dazu allerlei eingefallen.

„Die Politiker sollen nicht nur über uns reden, sondern mit uns“, sagte eine. Viele politischen Entscheidungen gingen die Jugendlichen direkt an. Wenn es in der Landes- und Kommunalpolitik beispielsweise um die Frage geht, wie die Oberstufe für die Gemeinschaftsschulen organisiert sein soll: „Da entscheiden die Politiker, aber uns fragt keiner“, kritisiert die Schülerin.

Ein Mitschüler ergänzt: „Bei Fridays for Future zeigen wir, dass wir was zu sagen haben.“ Auch er hat das Gefühl, dass die Politik sich nicht wirklich dafür interessiere. Dabei sei der Klimaschutz gerade für die Jungen ein wichtiges Thema. „Viele von denen, die heute die Entscheidungen treffen, werden die Folgen des Klimawandels nicht mehr selbst ausbaden. Das werden wir sein. Warum hören dann viele Politiker nicht auf uns?“ fragt er. Und eine Fünfzehnjährige fragt provokant: „Wieso gibt es eigentlich ein Mindestwahlalter, aber kein Höchstwahlalter? Warum dürfen junge Menschen nicht wählen?“

Ich finde es super, dass die jungen Leute sich zu Wort melden und dass sie mitreden. Es ist ihr gutes Recht. Es geht um ihre Zukunft. Und deshalb, liebe künftige Gemeinde-, Kreis- und Regionalräte und liebe EU-Parlamentarierinnen, ist mein dringender Rat an Sie alle: Redet mit den Menschen. Hört hin, wo der Schuh drückt. Redet mit den Alten und mit den Jungen. Redet mit den Arbeitslosen und mit denen, die keine Lobby haben. Treffen Sie solche Entscheidungen, bei denen Sie den Betroffenen in die Augen sehen können. Das ist dann schon die halbe Miete, um eine gute Gemeinderätin, ein guter Regionalrat oder eine geeignete EU-Parlamentarierin zu sein.

Habt das Herz auf dem rechten Fleck und bedient euch eures Verstandes. Seid streitbar für eure Sache, aber auch kompromissbereit und klug im Ausgleich verschiedener Interessen. Wenn unsere Stadt, wenn unser Kreis und unser Land von solchen Menschen regiert werden, dann werden sie gut regiert.