30.03.20

Denkanstoß

Denkanstoß von Pastoralreferent Uwe Schindera, Katholische Gesamtkirchengemeinde Esslingen.

Neulich bei einer Veranstaltung. Da benutzte doch tatsächlich ein Referent den Begriff „Demut“. Ich wurde sofort stutzig. Denn dieses Wort ist mir als Theologe natürlich unter den verschiedenen biblischen und philosophischen Ansätzen vertraut. Ich kenne es auch von Politikern und Vorständen großer Wirtschaftsunternehmen, wenn sie Wahlniederlagen oder aufgeflogene Lügen vor der Öffentlichkeit eingestehen müssen. Dieses Bekenntnis, so mein Eindruck, soll an unser Mitgefühl für sie appellieren und uns versprechen: Es kommt nicht noch einmal vor! Hochmut kommt vor dem Fall, möchte man ihnen dann mit dem alten Sprichwort zurufen. Ebenfalls alt und schon fast vergessen ist das Wort Demut. Hochmut und Demut entsprechen sich.

Umso mehr traf mich dann die Aussage dieses Referenten. Er benutzte dieses altertümliche Wort wie ein kostbares Gut. Durch seine Ausführungen wurde klar, er schneidet in seiner Freizeit oft Bedürftigen kostenlos die Haare, massiert ihnen mit einer Creme die Haut, spricht mit ihnen und versucht sie als Menschen wahrzunehmen. „Wissen Sie“, sagte er, „ich bin dadurch demütig und dankbar gegenüber dem Leben geworden. Es kann alles so schnell gehen. Heute noch hast du einen gefüllten Kühlschrank in der warmen Wohnung, und morgen bist du krank und lebst unter einer Brücke.“ Dann berichtete er, wie gut es gerade diesen Menschen tut, wieder gepflegt auszusehen. Sie fühle sich wie neugeboren, weil ich ihr ein Stück Würde zurückgab, hatte eine Frau zu ihm gesagt. Und das Schönste sei gewesen, dass sie dadurch wieder Mut gefasst hat, ihre Berufsausbildung zu beenden. Warum er das in seiner Freizeit mache, wurde er gefragt. „Ich kann nur Haare schneiden, nicht politisch agieren. Da bin ich nur ein Handwerker. Aber das, was ich gelernt habe, tue ich.“ „Lebe, was du vom Evangelium verstanden hast“, fiel mir dabei ein. Ein Wort von Roger Schutz, dem ermordeten Ordensgründer von Taizé. Der Friseur hat den Mut zum Dienen gefunden. Den Mut zur Selbstüberwindung brauchte er, um sein Handwerk auch in der Gosse auszuüben. Es ist dieser Mut, der einem selbst und dem anderen zum Leben verhilft.

Wenn wir von Demut sprechen, meinen wir oft, sie habe mit Unterwürfigkeit, strengem Gehorsam und Verlust des eigenen Ichs zu tun. Demut, das ist bei uns ein Wort, das negativ besetzt ist. Doch ist Demut alles andere als Unterwürfigkeit und ist nicht mit Demütigung zu verwechseln. Wer demütig ist, nimmt sich selbst nicht so wichtig, respektiert sich selbst und andere. Er geht mit ihnen auf Augenhöhe um, wie es der Friseurmeister an jenem Abend aus eigener Erfahrung schilderte. Der Demütige hört zu und begegnet dem anderen Mensch wertschätzend. Er hat einen eigenen Standpunkt, ohne darauf zu beharren, er sei der einzig richtige.

Demut kann auch noch einen anderen Aspekt beinhalten: Das Streiten um die Rechte und Bedürfnisse des Benachteiligten. Dies geschieht gewaltlos, kann aber durchaus auch mit Mitteln, die Medienleute und Politiker mit einschließen, geführt werden. Denn letztlich ist Demut eine Lebenseinstellung gegenüber der Gesellschaft und ihrem Dienst am Nächsten. Mir scheint, diese soziale Haltung ist bei uns verloren gegangen. Immer wieder höre ich von Klagen in Unternehmen, Mitarbeiter schauten nur auf sich selbst und ihren Vorteil. Es wird viel von Teamarbeit, von Teilhabe an Entscheidungsprozessen und von Mitarbeiterkultur gesprochen. Doch ein Miteinander, in dem nicht nur das Ziel zusammenführt, sondern die menschliche Gemeinschaft gefördert wird, fehlt. Uns allen ist das Solidarische, das Sehen und Wahrnehmen des anderen abhandengekommen. Wir haben die Demut aus unserem Wortschatz gestrichen, eben auch mit diesen Folgen. Darum stellt sich mir die Frage, wie wir alle wieder „Lust“ auf das Handeln in Demut bekommen. Lust ist für mich dabei das richtige Wort. Denn sie motiviert nicht nur, sondern sie erkennt auch, wie erfüllend und wohltuend das Aufrichten derjenigen ist, mit denen ich sonst kaum etwas zu tun habe. Eine Antwort kann lauten: Macht es wie der Friseur und setzt euch mit den Fähigkeiten, die ihr habt, für andere ein. Es gibt viele kirchliche und soziale Einrichtungen, die einem Tipps geben können, wie und wo man sich mit seinen Ideen einbringen kann. Einfach mal probieren, den Mut haben, sich zu überwinden, und los geht´s. Das wünsche ich Ihnen und uns allen.